Samstag, 1. April 2017

Jetzt wids mal ernst - Part 2

–Fortsetzung-
Sie dürfen mich auf jeden Fall nicht falsch verstehen, dass die persönliche Entwicklung des Freiwilligen das einzige Ziel des weltwärts-Dienstes ist. Ein anderer Grundgedanke des Projekts ist das sogenannte "Brücken bauen" bzw. voneinander lernen. An dieser Stelle würde ich den Aspekt des "Helfens" bzw. "Veränderns" nochmals gerne aufgreifen und Sie fragen, inwiefern ich als 19 Jähriger Abiturient, mit geringem Wissen über die Verhältnisse vor Ort, dazu qualifiziert bin, etwas zu verändern bzw. im welchem Sinne die Leute auf meine Hilfe angewiesen sind? Ich befinde mich weder im einem Kriegsgebiet, noch mangelt es den Menschen hier an lebensnotwendigen Ressourcen, Wohnräumen und Bildungseinrichtungen (die auch ohne die Hilfe eines Freiwilligen auskommen müssen). Macht das also den ganzen Einsatz vollkommen wertlos, wenn hier keine Hilfe gebraucht wird? In erster Linie muss man das so sehen, dass die Menschen hier sich alles, entsprechend den Verhältnissen, selber erbaut haben und dies nun auch alles ohne fremde Hilfe laufen muss. Eine Abhängigkeit gegenüber anderen Ländern, Firmen oder Organisationen würde dem Entwicklungsprozess sicher nicht zu Gute kommen. Wieso, kann sich wohl jeder selber erklären. Meine Funktion bei der ganzen Sache ist es als "Plus" zu fungieren, also meine Fähigkeiten in den Prozess mit einzubeziehen, um so Impulse in verschiedene Richtungen zu geben, die vielleicht noch nicht bekannt waren. Genau das Gleiche findet auch andersrum statt, indem ich neue Eindrücke gewinne, die mir bisher noch komplett unbekannt waren.
Dazu einige Beispiele:
Es ist zwar offiziell verboten, viele Schulen halten sich jedoch nicht daran: das Schlagen der Schüler als Bestrafung. Anfangs versuchte ich es einfach hinzunehmen und redete mir ein, dass die Lehrer schon wüssten wie sie die Klasse am besten unter Kontrolle bringen. Zur Verteidigung der Lehrer muss ich dazu sagen, dass auch sie mit dem System aufgewachsen sind und dementsprechend kein anderes kennen. Selbstverständlich macht es ihnen auch keinen Spaß ihre Schüler zu schlagen, es ist eben der einfachste Weg alle schnell ruhig zu kriegen. Zugegeben machte es auch erst mal den Eindruck, die einzige Möglichkeit zu sein, sich Respekt zu verschaffen und die Klasse kontrolliert zu unterrichten. Ich war dennoch von Anfang an dagegen und versuchte es mit alternativen Methoden, die uns auch in Deutschland bekannt sind. Strafarbeiten, vor die Tür, persönliche Gespräche etc. Das kombinierte ich dann mit einem fordernden Unterricht, an dem sich alle Schüler beteiligen sollten, damit die Inhalte auch wirklich jeden erreichen. Und voila, das Rezept, ohne Schlagen zu unterrichten, war gefunden. Dazu kommt auch viel mehr Lehrstoff bei den Schülern an, da sie im Gegensatz zum langweiligen Frontalunterricht, endlich mal richtig gefordert werden. Schnell sprach es sich im Kollegium rum, während mich einige kritisch beäugten, kam der Großteil der Lehrer doch interessiert auf mich zu, um sich Tipps zu diesem bisher noch unbekanntem Format abzustauben. Vielleicht wird es mal ganz an der Schule übernommen, wer weiß...

Oder sei es das Skaten, von dem viele hier noch nie was gehört haben (an dieser Stelle Grüße raus an die Sk8-Community). Die einzig bekannte Art des Skatens hier ist das "Bladen" also das Rollschuhfahren, das durfte ich natürlich nicht einfach so auf mir sitzen lassen. Da es anfangs sehr schwer war, einer großen Gruppe mit nur einem Skateboard, etwas beizubringen, fiel die ganze Sache voreilig aufs Eis. Mit der Zeit fand sich aber ein Schüler der 8. Klasse, der regelrecht davon fasziniert war und es unbedingt lernen wollte. Trotz Zeit und Platzmangel kam es dann doch endlich zum Skate-Unterricht, der nun schon seit knapp 3 Monaten stattfindet, und das mit großen Erfolgen ( der FS180 sitzt bald). Nach Beendigung meines Einsatzes hinterlasse ich ihm auch mein Board, damit er fleißig weiterüben kann und hoffentlich weitere Personen dazu inspiriert.
Um nicht den Eindruck zu erwecken, dass ich nur gelehrt habe sondern auch gelernt, noch ein kleines Beispiel:
Indien ist ein extrem religiöses Land, wenn nicht sogar das Religiöseste überhaupt. Keine Religion zu haben bzw. an keinen Gott zu glauben, gilt hier als Undenkbar. Die größte Gruppe bildet hierbei der Hinduismus mit knapp 80 %, gefolgt vom Islam mit 13 % und dem Christentum mit 3 %. Während man vielleicht aus den Medien etwas über den Hindu-Nationalismus gelesen hat, der repressiv versucht gegen andere Religionen (vor allem Islam) vorzugehen, spiegelt das natürlich keineswegs die Meinung des allgemeinen Volkes wieder. Zugegeben findet eine Unterdrückung statt, dies aber hauptsächlich in Nord-Indien und wenn auch nur in wenigen Gebieten. Der Süden ist in der Hinsicht viel aufgeschlossener. So ist die Toleranz auch viel größer. Religiöse Feste werden von Gläubigen jeder Religion zusammengefeiert, so z.B Diwali, an dem alle abends auf die Straße gingen um zusammen zu böllern. Jesus gilt für viele Hindus auch als Hindu-Gott, bei den Moslems wird er als Prophet verehrt. Oder schon um 5.00 Uhr morgens, wenn der Muezzin über voll aufgedrehte Lautsprecher aus dem nächstgelegenem Minarett zum Gebet ausruft und nicht sofort eine wütende Menschenmasse erscheint, die ihn auffordert gefälligst leise zu sein. Der Grundgedanke ist eben der, dass alle durch ihren Glauben an etwas Höheres zusammen verbunden sind, es gibt kein richtig oder falsch.
Da man im Alltag ständig mit religiösen Dingen konfrontiert wird, bleibt einem nichts anderes übrig als sich darauf einzulassen. Und das ist auch gut so! Für mich eine unglaubliche Lektion in Sachen Toleranz.

Um langsam zum Schluss zu kommen, würde ich noch über eine Aufgabe von mir berichten, die mir persönlich am wichtigsten erscheint. Und zwar ist es das gemeinsame Leben mit den Hosteljungs. Ich lebe hier ja mit zwei Fathern, einem Brother und den Jungs auf einem Gelände. Derzeit sind es ca. 40 im Alter von 10-16 Jahren, die Meisten aus sehr ärmlichen Verhältnissen. Unter ihnen befinden sich auch zwei Waisen. Zwar verstehen sich die Jungs sehr gut miteinander und albern auch viel zusammen rum, allerdings merkte ich im Laufe der Zeit immer mehr, dass ihnen etwas fehlt. Die liebenden Eltern, die ihnen die nötige Aufmerksamkeit schenken, zur Seite stehen und ihnen das Gefühl vermitteln "gebraucht zu werden". Einige bekommen sonntags Besuch von ihren Eltern, so richtig nach Hause können sie dann aber nur über die Ferien, von denen es hier, bis auf die zwei Monate Sommerferien, nicht all zu viel gibt. Auch darauf freut sich nicht jeder, da einige aus Krisenfamilien kommen, bei denen nicht alles so harmonisch abläuft, wie man es sich gerne vorstellen möchte. Von den Fathers können sie auch keine Zuwendung erwarten, die vermitteln ihnen eher das Gefühl nutzlos zu sein und alles falsch zu machen. Sie sehen eben nicht, dass es noch Kinder sind. Kinder die lieber spielen wollen, statt den ganzen Tag zu lernen, Kinder die einfach mal Kind sein wollen ohne sofort bestraft zu werden. Besonders in der Schule merke ich, wie sich diese fehlende Zuneigung auf die Jungs auswirkt. Viele sind im negativen Sinne sehr auffallend, ständig in Streit verwickelt, Konzentrationsschwächen und dementsprechend auch schlechte Noten oder zum Teil völlig von der Klasse isoliert.
Deshalb versuche ich gewissermaßen in die Rolle des großen Bruders zu schlüpfen, um den Jungs die gebrauchte Aufmerksamkeit zu schenken, ihnen in schweren Zeiten beizustehen oder auch manchmal aus der Patsche zu helfen. Dabei darf man aber nicht zu viel Nettigkeit zeigen, da sonst alles nach Hinten losgehen würde. Die Jungs hätten keinen Respekt vor mir, würden mich nicht ernst nehmen, bzw. einfach schamlos ausnutzen. Deshalb darf man seine Strenge auf keine Fall verlieren, da Respekt in solchen Sachen eine essenzielle Rolle spielt. Dazu kommt, dass es bei einer Gruppe von 40 sehr schwer ist, sich auf jeden individuell einzustellen und alle im gleichen Maße zu behandeln, damit es zu keiner Eifersucht kommt. Steht man ihnen aber zu nah, stellt das auch ein Problem dar. Schließlich endet meine Zeit hier auch irgendwann, sind sie dann zu sehr emotional an mich gebunden, werden sie eine weitere Enttäuschung erleben, wenn ich nicht mehr da bin.
Ich sehe meine Aufgabe keineswegs darin, ihre Eltern zu ersetzen oder sie zu ordentlicheren Menschen umzuerziehen, eher darin, ihnen das Leben im Hostel erträglicher zu machen und was auf den Weg mitzugeben. Metaphorisch gesehen, versuche ich ihnen einen Samen in den Kopf zu pflanzen, der mit der Zeit wächst und in Zukunft vielleicht mal zu einer Frucht anreift. Wie der Prozess abläuft, entscheiden ganz und alleine die Kinder. 

Eine andere Sache für die ich mich im Moment stark mache, ist die Organisation eines Patenschaftsprojektes für die im Kinderheim lebenden Kinder, von dem ich mal berichtet habe. Die Familie von einem Freund von mir, leitet in einem kleinen Dorf außerhalb Amaravathi, ein Kinderheim für Waisen- und Halbwaisenkinder. Insgesamt leben dort 14 Kinder, Jungs und Mädels im Alter von 8-12 Jahren. Da alle aus Feldarbeiterfamilien abstammen, finden sie bei Familienangehörigen keine Obhut, weil diese fast den ganzen Tag auf dem Feld arbeiten müssen und keine Zeit bzw. auch kein Geld haben um ihre Erziehung zu finanzieren. Zu Besuch kommt es glücklicherweise auch manchmal, dann aber auch nur am Sonntag oder anderen freien Tagen, schließlich haben die zugehörigen Tanten und Onkel auch ihre eigenen Kinder. 
Zwar gehe ich mit der Mutter meines Freundes, ab und zu mal mit um mit den Kindern zu spielen, was sich dann oftmals aber, dank der Sprachbarriere, als nicht so leicht rausstellt. Weil ich in der ganzen Sache allerdings mehr Potenzial sehe, bin ich derzeit auf der Suche nach Patenschaftsfamilien, die sich dazu bereit erklären würden, den Kindern etwas unter die Arme zu greifen und sie in ihr Familienleben mit einzubeziehen. Sei es durch regelmäßig stattfindende Treffen, an denen man z.B zusammen lernt, Einladungen zum Mittagessen am Wochenende oder gemeinsamen Familienausflügen. Denn schließlich ist es das Familienleben, das den Kinder besondere Werte vermittelt und essenziell wichtig für ihre Entwicklung und mentale Gesundheit ist.

Zu guter Letzt, würde ich mich an Sie mit einer besonderen Bitte richten. Nachdem ich Ihnen mein Projekt bzw. den Sinn hinter dieser Art von Freiwilligendienst, hoffentlich detailliert genug näher gebracht habe, wäre ich Ihnen außerordentlich dankbar, wenn sie mir eine kleine Spende da lassen würden. Um diesen Dienst auszuführen bzw. auch in Zukunft anbieten zu können, ist die finanzielle Unterstützung von ungeheurem Wert für dessen Fortbestand, da das Projekt eben auch auf Spenden basiert ist. Diese werden vor allem dazu benötigt, um meine Entsendeorganisation finanziell zu entlasten, die die Kosten für meine Vorbereitung (die ich als extrem wertvoll erlebt habe und mir das Einleben vor Ort im großen Sinne erleichtert hat), Unterkunft und Versorgung vor Ort, stellt. 
Mir ist bewusst, dass den größten Teil der Leser meine Freunde und Bekannte ausmachen. Ich weiß, dass ihr alle zum Teil nicht erwerbstätige Schüler oder Studenten seid und nicht das größte Vermögen besitzt, doch auch ihr geht am Wochenende raus und gebt ab und zu die ein oder anderen Summen für Klamotten etc. aus. Besonders euch würde ich bitten, vielleicht einfach mal aufs Saufen oder das neue Paar Schuhe zu verzichten und mir diesen Betrag gönnen. Schließlich ist es keine riesen Bitte von meiner Seite aus, wenn ihr zurückdenkt, für was ihr in der Vergangenheit so euer Geld ausgegeben habt, einfach mal mit einer Spende etwas Gutes zu tun. Vor meiner Ausreise hab ich es wahrscheinlich nicht deutlich genug gezeigt, wie wichtig mir diese Angelegenheit ist, doch nun wisst ihr ja Bescheid. Auch wenn es nur 5 oder 10 Euro sind, Spende ist Spende und würde mir unglaublich weiterhelfen!

Überweisen Sie einfach einen Betrag den Sie/ihr als richtig erachten auf folgendes Konto:
Kongregation der Pallottinerinnen/MaZ
Bank: Liga Bank München/Regensburg
IBAN: DE52 7509 0300 0102 1839 35
BIC: GENODEF1M05
Verwendungszweck: 203567 (für Spendenquittung bitte Adresse angeben)

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